Einblicke
Das Virus, der Raum und die Demokratie
Vor gut einem Monat haben wir im Auftrag der Wüstenrot Stiftung den Wettbewerb „Gebaute Orte für Demokratie und Teilhabe“ ausgeschrieben. In diesem Zuge haben wir auch eine kleine Blogserie angekündigt. Die aktuelle Situation ist uns etwas in die Quere gekommen. Trotz oder gerade wegen des Stillstands von Urbanität wollen wir ab nun auf unserem Blog reflektieren, wie Demokratie und Teilhabe mit Stadt und Architektur zusammenhängen.
Die Auswirkungen des Coronavirus begegnen uns überall. Das öffentliche Leben ist weitestgehend lahmgelegt. Viele der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie können nur umgesetzt werden, indem Rechte, die teils über Jahrhunderte hinweg mühsam erkämpft wurden, außer Kraft gesetzt werden: das Recht auf Versammlungsfreiheit, das Recht auf Bildung, die Reisefreiheit, das Recht auf Asyl. Ohne Frage, die Einschränkungen der Bürger:innenrechte zum Schutz tausender Menschenleben sind in der aktuellen Situation richtig und wichtig. Nichtsdestoweniger sollten wir all das nicht unhinterfragt geschehen lassen.
Die gegenwärtige Kontaktsperre lässt uns nicht nur spüren, wie wichtig unser gewohntes soziales Miteinander für unser Wohlbefinden ist. Corona zeigt uns auch, welche Bedeutung gebaute, materielle Orte und der öffentliche Raum in unserem alltäglichen Leben haben. Schulen, Jugendclubs, öffentliche Plätze, Kirchen, Theater und so vieles mehr – all das sind Treffpunkte und Lernorte für demokratische Haltung und Orientierung, die in Zeiten des Social Distancing nicht mehr erlebbar sind.
Demokratie braucht Begegnung. Demonstrationen, das Treffen im Verein, die Podiumsdiskussion an der Universität, das gemeinsame Innehalten an einem Mahnmal. Solche Begegnungen fallen nun weg. Aber auch zufällige Begegnungen kommen kaum noch vor: Kinder auf dem Spielplatz, Touristen am Brandenburger Tor, Fahrrad-, Fuß- und Autoverkehr im Straßenraum. Differenz aushalten und Konflikte aushandeln sind zentrale Momente von Demokratie. Gebaute, materielle Orte und der öffentliche Raum bieten die Voraussetzung für diese Momente. Ich hoffe, dass wir diese Orte nach Corona noch mehr zu schätzen wissen und sie mit konstruktiven Diskussionen und demokratischen Forderungen füllen.
– Franziska Lind, 26.03.2020