Einblicke

Wie digital ist das Gemeinwohl?

Als mich vor zwei Jahren die Anfrage erreichte, als Fachgutachterin an der Auswahl der zweiten Staffel der Modellprojekte Smart Cities mitzuwirken, war meine Reaktion eine Mischung aus Überraschung, Neugierde und Respekt. Überraschung, weil Urbanizers den Smart-City-Diskurs lange vor allem rezipierend begleitete. Neugierde, weil ich spätestens seit der Lektüre der Smart City Charta und Gesprächen darüber mit ersten Kommunalvertreter:innen gespannt war auf die konzeptionellen und konkreten Ideen großer und kleiner Städte. Und Respekt, weil ich manche der Begriffe aus den Förderanträgen erstmal nachschlagen musste.

Mittlerweile bin ich ausgesprochen dankbar für die Chance, die sich Urbanizers mit dieser Herausforderung bot: Selten kam uns unsere interdisziplinäre Kompetenz so zugute wie in der Auseinandersetzung mit Digital Urban Twins, Mobility Hubs, Open-Source-Ansätzen, Pfadabhängigkeiten und vielen weiteren. Schnell haben wir gelernt, Smart-City-Strategien nicht nach den Buzzwords oder ihrer vermeintlichen technologischen Avanciertheit einzuschätzen. Wer städtische Entwicklung mit digitalen Mitteln klüger machen will, braucht Daten – und sollte recht genau wissen, welche und wozu. Gesa Ziemer, Direktorin des City Science Labs an der HafenCity Universität Hamburg, hat die neue Perspektive für die Stadtentwicklung einmal als „Denken mit Daten“ bezeichnet: „Wir müssen erst noch lernen, mit Daten auch kreativ umzugehen, d. h. sie nicht nur im Hinblick auf Quantität zu erheben und auszuwerten, sondern auch im Hinblick auf ihre Qualität.“ Digitalisierung ist – mal abgesehen davon, dass der Begriff im Zusammenhang mit Stadtentwicklung eigentlich in die Irre führt – kein Selbstzweck, sondern jede digitale Option muss hinterfragt werden hinsichtlich ihres Nutzens für das Gemeinwohl und für die Resilienz unserer Städte. Um es mit den Worten des Ulmer Oberbürgermeisters Gunter Czisch zu sagen: „Technische Möglichkeiten … spielen zwar eine wichtige, aber für uns dennoch eine untergeordnete Rolle. Unsere Priorität ist es, die Menschen zu befähigen, diese Transformation zu meistern und die eigene Innovationskraft zu stärken.“

Im neuen Arbeitsfeld – das mit „Smart City“ oder „Digitalisierung“ zu kurz beschrieben wäre – sind wir nicht nur als Berater:innen und Gutachter:innen unterwegs, sondern haben das Glück, in einem gemeinsamen Projekt mit der Wüstenrot Stiftung den tatsächlichen Bedarf der Kommunen erforschen zu können. Nicht nur „Denken mit Daten“, sondern auch Nachdenken über Daten eben. Städte brauchen beides.

– Marie Neumüllers, 26.04.2022


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